Bemerkung: Alle Handlungen und Figurenkonstellationen sind frei erfunden. Die Personen, die namentlich erwähnt werden, haben dafür ihr Einverständnis gegeben.

„Homenum Revelio“

1

DONNERSTAG

Lisa dreht sich panisch zu ihren zwei Freundinnen um: »Was war nochmal der dritte Punkt, den wir zur Idee der modernen Marktwirtschaft aufgeschrieben haben?« »Funktionierender Wettbewerb bei gleichzeitigem Wohlstand und sozialer Sicherheit.« »Ne, das war der Vierte.« »Hä, warte mal, ich guck’ nochmal im Buch.«
Die Schüler rechnen mit Herrn Fritsch, der verspätet, aber umso schwungvoller angerauscht kommt und mit der Gemeinschaftskunde-Klausur beginnen möchte, doch als sich die Tür öffnet, tritt der Hausmeister Herr Marquart ins Klassenzimmer. »Guten Morgen, ihr sollt alle schnell runter auf den unteren Hof gehen. Anordnung vom Herr Nowack.«
Das lässt sich niemand ein zweites Mal sagen. »Bestimmt die Feuerübung. Da haben die echt den perfekten Tag gewählt!« meint Lisa euphorisch.
Unten sammeln sich bereits einige Schüler und zur Überraschung aller, ziemlich verwirrte Lehrer. Es vergeht eine geschlagene Viertelstunde, bis alle draußen sind und der Schulleiter kurzerhand auf eine Bank steigt. Sofort verstummt jedes Gemurmel und die Stille, gemischt mit dem blassen Herr Nowack, wirkt plötzlich ganz gespenstisch, wie aus einem schlechten Film.
»Der Schultag ist für heute vorbei. Ihr geht bitte alle nach Hause«, beginnt er von seinem erhöhten Posten aus. Einige Male sieht es aus, als möchte er noch etwas hinzufügen, doch er steigt nur zittrig von der Bank, hinein in die Masse, die zum Teil hocherfreut ist, wobei bei einigen dennoch ein ungutes Gefühl mitschwingt.
Lisa und ihre Freundinnen laufen den Weg nach unten zur Stadthalle. »Wenn nichts Schlimmes passiert wäre, hätten die doch genau erklärt, was los ist.« »Ja, und außerdem war Herr Nowack ja völlig neben der Spur. Da muss was passiert sein.«

2

Als er in die Schule kommt, ist das Haus leer. Ist heute eine Ausfahrt die er vergessen hat? Wir fahren doch eigentlich immer im Juli in den Europapark, denkt er. Die Autos der Kollegen stehen ganz normal geparkt die Straße hoch, weshalb er beschließt, auf jeden Fall ins Lehrerzimmer zu schauen.
Er betritt den Raum und dutzende, teils tränengefüllte Augenpaare sehen ihn an. Niemand redet. »Was ist denn hier los?«, fragt er reflexartig in die gespenstische Stille hinein. Herr Steyer ist der Erste, der auf ihn zukommt: »Setz dich lieber, Markus.«
Herr Thomas lässt sich auf den erstbesten Stuhl fallen und spürt Unbehagen in sich aufkommen. »Herr Fritsch wurde vergiftet, man weiß noch nicht wie, oder mit was und bewusstlos im Dunkelraum im ersten Stock gefunden. Er liegt mit inneren Verletzungen auf ungewisse Zeit im Krankenhaus. Er wirds Gott sei Dank überleben, aber die Umstände beunruhigen uns trotzdem alle.«
Nun hat es auch Herrn Thomas die Sprache verschlagen. »Der Herr von der Spurensicherung meinte, es war anscheinend Kontaktgift, welches durch eine kleine Schnittverletzung am Finger in seinen Blutkreislauf kam«, erklärt nun Herr Nowack. »Es war höchstwahrscheinlich eine gezielte Tat und momentan müssen wir so gut wie jeden als Täter in Betracht ziehen. Die Polizei will jetzt in Kooperation mit einem Detektiv ermitteln. Bis der Täter identifiziert wurde, müssen wir zum Wohl aller, besondere Sicherheitsvorkehrungen treffen.« Herr Nowack streicht sich geschafft über die Stirn, »Gehen Sie alle erst mal nach Hause und checken Sie regelmäßig Ihre E-Mails.«
Als die meisten das Lehrerzimmer bereits verlassen haben, beschließt Herr Thomas, seinem Chef einen Gedanken mitzuteilen. »Wissen Sie, das kommt jetzt vermutlich aus dem Nichts, aber ich habe schon das ein oder andere Mal etwas für Freunde oder Verwandte herausgefunden, was diese selbst nicht konnten oder wollten.« Als Herr Nowack nichts erwidert und ihn nur etwas verwundert ansieht, fährt er fort. »Also falls Sie jemand internen benötigen -parallel zu den anderen Ermittlungen, versteht sich- dann würde ich mich bereit erklären.«
Der Schulleiter hat das Fragende noch nicht aus seinem Gesicht verschwinden lassen, aber schüttelt endlich die Sprachlosigkeit ab:» Nichts für ungut, aber ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass Sie so viel  Erfahrung haben, um einen richtigen Kriminalfall aufzuklären. Tun Sie sich keinen Zwang an, solange Sie die polizeilichen Arbeiten nicht behindern, ist mir das aber ehrlich gesagt egal.« Herr Nowack gähnt und fügt hinzu: »Entschuldigen Sie, aber ich muss jetzt wirklich nach Hause und versuchen, das ganze Adrenalin wieder abzubauen. Heute war ein langer Tag.«

3

FREITAG

Nach Aufforderung in einer E-Mail vom Sekretariat haben sich alle zu einer Befragung im Schulhaus eingefunden. Nur der ausführende Kommissar hat nun schon eine Dreiviertelstunde Verspätung. Die Eltern und Schüler wurden informiert, dass die Schule aufgrund eines technischen Defekts am Aufzug diesen Freitag ausfällt, die genauen Gründe behielt man sich vor.
Die Stimmung ist angespannt, nur hier und da wird gesprochen. Herr Thomas sitzt an seinem Schreibtisch und macht sich eifrig Notizen zu den Umständen, die er bereits kennt. Herr Gebhard, der ihm gegenüber sitzt, beugt sich interessiert zu ihm hinüber. »Lässt dich das auch nicht los? Mich beunruhigt vor allem der Gedanke, dass es mehr oder weniger zwangsläufig ein Mitglied der Schule sein muss. Einer von den Kollegen, oder ein Schüler, wobei ich Letzteres für unwahrscheinlicher halte. Vermutlich hoffe ich auch bloß, dass es kein Schüler war.« Ganz überwältigt von der plötzlichen Empathie für seine Gedanken legt Herr Thomas los: »Ja, du nimmst mir da echt die Worte aus dem Mund. Und weißt du, was das Ganze noch mehr tricky macht? Dass diese giftige Substanz schon vor Tagen oder Wochen platziert worden sein konnte, weil niemand weiß, wie oder wo Herr Fritsch die abbekommen hat. Dadurch ist es schwer, Verdächtige auszuschließen.«
»Man mag es mir vielleicht nicht ansehen, aber ich steh’ auf so Detektivgeschichten. Ich glaube, ich habe jede Sherlock Holmes Geschichte mindestens einmal gelesen und kann oft schon vor der legendären Enthüllung sagen, wer der oder die Täter sind. Gestern hast du doch mit dem Schulleiter geredet, ob du auf eigene Faust ermitteln darfst. Ich denke wirklich, wir könnten hilfreich sein.« Herr Gebhard sieht außergewöhnlich aufgeregt auf. »Dann sind wir jetzt sowas wie ein Detektivduo. Irgendwie spannend. Aber nur fürs Protokoll: Ich bin Holmes, du Watson, klar?«, meint Herr Thomas lachend.

*

Der erwartete Kommissar taucht auch nach einer weiteren halben Stunde nicht auf und Herr Nowacks Nerven liegen blank. »Ich kann Sie alle ja nicht grundlos hierher bestellt haben. Meine Idee wäre es, aufzuschreiben, wer in den letzten Tagen wann hier im Schulhaus war, und diese dem Kommissar zu schicken. Dadurch haben wir wenigstens etwas davon, dass alle da sind. Aber wenn jemand einen besseren Vorschlag hat, dann gerne raus damit.«
Das frisch gegründete Detektivduo sieht die Gelegenheit und bittet zusätzlich um eine ausführliche Aussage zum Tattag von jedem, die parallel auf Herrn Thomas Handy aufgezeichnet und damit festgehalten wird. Zuletzt lassen auch die Detektive, die sich zwischenzeitlich scherzhaft auf den Namen „GeTho“ für ihre vorübergehende Detektei geeinigt haben, den Tag Revue passieren.
Ein Großteil des Kollegiums beschließt, noch dazubleiben, um sich auszutauschen und die Aufregung der vergangenen 24 Stunden etwas zu vergessen.
„GeTho“ sitzt an einem der Tische und bespricht die Fakten zur Tat.
»Wer hat Timo eigentlich gefunden, wenn es niemand von den Lehrern war?«, fragt Herr Thomas. »Eine der Putzfrauen. Anscheinend werden in diesem Raum auch spezielle Reinigungsmittel gelage-«
Ein schriller, ein dumpfer Schlag und irgendwer, der vom Flur aus: »Hilfe! Wir brauchen einen Notarzt!« brüllt.

4

SAMSTAG

Es ist kurz nach vier in der Früh, aber Herr Thomas kann nicht schlafen. Die gestrigen Geschehnisse erscheinen ihm nur noch schleierhaft, wie ein langsam verblassender Traum. Nachdem seine Kollegin Frau Hermann in den Fahrstuhlschacht gestürzt oder geschubst worden war, konnten die restlichen Anwesenden plötzlich nicht mehr schnell genug aus dem Schulhaus kommen. Kombiniert mit den Missständen um Herrn Fritsch hat nun jeder Angst, der Nächste zu sein, dem etwas angetan wird.
Nach Aussage von Frau Schumacher, die vom Flur aus gerufen hatte, war außer ihr und Frau Fuchs niemand sonst auf dem Gang, beide waren aber offensichtlich aus einer anderen Richtung gekommen.

Am Nachmittag treffen sich „GeTho“ bei einer Kanne Tee und versuchen, sich genau ins Gedächtnis zu rufen, wer nach ihrer Befragung noch in der Schule geblieben war und wer sich ganz sicher bei ihnen im Lehrerzimmer aufgehalten hatte. »Es ist wahrscheinlich, dass es sich bei beiden Anschlägen um dieselbe Person handelt. Die Personen, die alle da waren, haben nun also quasi ein Alibi und müssen nicht mehr als primär Verdächtige gehalten werden«, mutmaßt Herr Gebhard, doch sein Kollege verzieht unwillkürlich das Gesicht. »Zunächst kann die Geschichte mit dem Fahrstuhl auch immer noch ein Unfall gewesen sein. Und ich denke, du vergisst, dass man nicht nur vom ersten Stock aus auf den Aufzug zugreifen kann. Aber wenn Frau Hermann später wirklich aussagt, geschubst worden zu sein, dann können wir tatsächlich schon ein paar Leute gedanklich etwas in den Hintergrund rücken, aber ausschließen kann man bis dato niemanden.« »Wie sieht jetzt der weitere Plan aus?«, möchte Herr Gebhard wissen. »Momentan können wir nicht viel tun, außer abzuwarten, bis Herr Fritsch oder Frau Hermann wieder kommunikationsfähig sind und berichten können, was sie erlebt haben. In beiden Fällen könnte der Täter eigentlich Mord beabsichtigt haben, weshalb es nicht abwegig ist, dass er oder sie sich vorher offen seinen Opfern gezeigt hat. Das wäre natürlich der Idealfall.«    

5

SONNTAG

Herr Fritsch ist aufgewacht und soweit wohlauf. Großartig mehr von der E-Mail des Schulleiters müssen die Detektive gar nicht lesen, um sich sofort auf den Weg zum Krankenhaus zu machen. Vom Empfang aus begleitet sie eine rothaarige Schwester ins gewünschte Zimmer. »Oh, er scheint zu schlafen«, meint diese, als sie vor beiden den Raum betritt. »Er sollte jetzt aber sowieso noch seine Medikamente nehmen.« Herr Fritsch, der doch eigentlich nur einen leichten Schlaf hat, wacht jedoch auch nach mehrfachem Ansprechen und sanftem Rütteln nicht auf. Die Schwester drückt sogleich den roten Notfallknopf, um schnellstmöglich den Arzt zu rufen. »Ich muss sie leider bitten, den Raum zu verlassen. Wir melden seiner Frau weiter hin seinen Zustand.« Bevor ein gesamtes Ärzteteam herein gerauscht kommt, wird Herr Thomas stutzig. Ein Sonnenstrahl hatte sich durch das Fenster, quer auf den schwarzen Stoff, des in der Ecke stehenden Besuchersessels gelegt, über dessen Stuhllehne, im Sonnenlicht nun deutlich sichtbar, ein langes, blondes Haar schimmerte, welches der Chefdetektiv sogleich behutsam von dem weichen Saum pflückt und fest ist der Hand hält, als sie aus dem Raum geschoben werden.

*

»Entschuldigung, hätten Sie eventuell eine kleine Tüte für uns?«, fragt Herr Thomas den Herrn am Empfang. Mit dem eingetüteten Haar fällt ihm direkt noch etwas ein: »Haben Sie in den letzten zwei Tagen eine blonde Frau beobachten können, die einen Herrn Fritsch besuchen wollte?« Herr Gebhard bemerkt den kritischen Blick des Mannes und fügt hinzu: »Wir wissen natürlich, dass Sie eine gewisse Schweigepflicht haben, aber in diesem Fall ist es ziemlich wichtig. Die Frau könnte die sein, die Herrn Fritsch vergiftet hat und ihm gleich noch etwas angetan hat, als sie mitbekommen hat, dass er wach ist und gegen sie aussagen kann.« Der Mann, dessen Namensschildchen ihn als „Herr Schilling“ bezeichnet, gibt zu, dass er tatsächlich heute Vormittag diese merkwürdig vermummte, es eilig habende Person, vermutlich eine Frau, bemerkt hatte, die ihn jedoch nie nach einer Zimmernummer oder sonstigem gefragt hatte, sondern einfach die Treppen hoch gehetzt und etwa 20 Minuten später wieder aus dem Haupteingang geschneit sei.

Die Detektive bedanken sich und verlassen das Krankenhaus in Richtung Auto. »Male parta, male dilabuntur, wie gewonnen, so zerronnen, philosophiert Herr Thomas. »Das hat ein paar interessante Wendungen genommen.«
»Was du nicht sagst.«   

6

MONTAG

Nach genügenden Untersuchungen, die die Gefahr für die am Schulleben beteiligten Menschen weitgehend ausschließen, konnte heute der reguläre Schulbetrieb wieder aufgenommen werden, was die meisten Lehrer freut, die meisten Schüler dagegen eher weniger. Im Laufe des Morgens hatte Herr Thomas von Herrn Fritschs Frau in Erfahrung bringen können, dass dieser ein nicht verschriebenes Schlaf-Medikament verabreicht bekommen hatte. Diese Tatsache sprach tatsächlich für eine Person, die ahnen konnte, dass man mit ihm reden wollen würde und die dies verhindern wollte. Oder von einer schusseligen Arzthilfe, wie Herr Gebhard klugerweise hinzugefügt hatte, was Herr Thomas jedoch für ein Hirngespinst hielt.
Der neue Plan der Detektive stand jedenfalls: Jeder blonden, langhaarigen Lehrkraft ein Haar entlocken, sich einschließlich im Biosaal einquartieren und unter dem Lichtmikroskop die jeweiligen Proben, mit der aus dem Krankenhaus vergleichen. Herr Thomas war erst skeptisch gewesen, weil sie keineswegs sicher davon ausgehen konnten, dass es eine Person aus der Schule gewesen war, doch Herr Gebhard hatte nur gemeint, dass er da so ein Gefühl hätte. »Ich bin nur beruhigt, dass wir dich schon mal ausschließen können!« Hatte Herr Thomas seinem Kollegen kichernd mitgeteilt. Es war ihnen reichlich unangenehm, erst bei der Sekretärin und dann bei sämtlichen Lehrern, hauptsächlich Lehrerinnen, die auch nur ansatzweise jene Haarfarbe und -länge besaßen, aufzukreuzen und darum bitten zu müssen, ihnen ein Haar zu überlassen. Schließlich hatten sie, das Fundhaar mitgezählt, 13 kleine beschriftete Tüten mit einzelnen Haaren ihrer Kollegen. »Hoffen wir, dass unsre werten Verdächtigen, möglichst unterschiedliche Haarstrukturen haben.«

*

»He, du musst des Kabel schon einstecken.« »Ich hab des schon vor einer Viertelstunde eingesteckt, so blöd bin ich auch nicht.« »Wieso leuchtet dann diese komische Lampe hier nicht?!« »Drück mal auf den Schalter da.« »Da hab ich schon mindestens zehnmal draufgedrückt.« »Manchmal reicht es halt einfach nicht, studiert zu haben.« Die Detektive sind der Verzweiflung nahe, weil sie einfach kein Mikroskop zum laufen bekommen, da erscheint glücklicherweise Frau Epp im Türrahmen und bietet ihre Hilfe an. »Wie lang stehen Sie da schon?« muss Herr Thomas unwillkürlich fragen. »Ach, das ist jetzt gerade nicht von unheimlicher Wichtigkeit, oder?«, entgegnet Frau Epp schmunzelnd.» Ich wollte auch nur schnell fragen, wie lange Sie noch brauchen, weil ich in ungefähr einer Stunde mit meinen Sechsern hier reinmüsste. Achso, und eigentlich müssen Sie nur den kleinen Knopf hier an der Seite drücken…«
Und schon leuchtet die Blende.
»Ich will ja keinesfalls in Ihre Arbeiten reingrätschen, aber es ist schwer, Haare unter dem Mikroskop zu vergleichen, wenn sie nicht beispielsweise verschiedene Farben oder Texturen haben. Und das sage ich nicht, weil Sie auch ein Haar von mir haben.«
Herr Thomas möchte bereits etwas entgegnen, da schaltet sich Herr Gebhard ein: »Genau genommen müssen wir auch nur eine bereits aufgestellte These damit unterstützen.« »Ach, ja welche denn?«, fragt sein Detektivkollege ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. »Willst du mir damit sagen, dass es theoretisch gereicht hätte, nur eine Person nach einem Haar zu fragen und nicht das halbe Kollegium?!« Herr Gebhard bleibt gelassen und meint nur mit einer Kopfbewegung in Richtung Frau Epp, welche die Konversation etwas unsicher blickend mitverfolgt: »Diskretion Kollege, sonst haben alle direkt den Fokus auf dieser einen Person, und außerdem ist es nur eine Theorie.«
„GeTho“ dreht sich Frau Epp zu, doch diese kündigt bereits an, schon weg zu sein und lässt wenig später hinter sich die Tür ins Schloss fallen.
Der Haarvergleich startet und nach und nach, können einige Proben tatsächlich recht sicher aussortiert werden. »Herrr Siems’ Probe passt auch nicht.« Dokumentiert Herr Gebhard seine Beobachtungen. »Solange das nicht deine Theorie gefährdet, die du so gut für dich behältst«, grummelt Herr Thomas. Einige Zeit und Haarproben später wird der Chefdetektiv ganz aufgeregt: »He he, das könnte passen. Das ist es. Siehst du, die gleichen leichten Einkerbungen wie bei der Probe.« »Bingo.« meint Herr Gebhard. »Das war genau die Person, die ich auch im Kopf hatte.«

7

Die Detektive hetzen so schnell wie möglich die Treppen ins Lehrerzimmer hoch, um ein weiteres Gespräch mit ihrer Zielperson zu führen. Sie sitzt tatsächlich im Lehrerzimmer an  ihrem Schreibtisch, mit ein paar Papieren und einem Kaffee vor sich. »Ähh, Markus? Bevor wir Frau Buschle jetzt damit überfallen, will ich dir erzählen, wieso ich sie direkt im Kopf hatte. Vor ungefähr drei Wochen bin ich in den Putzraum bei den Toiletten gegangen, um was für den Boden zu finden, weil da ein Spezialist aus der Zehnten Tusche ausgeleert und erst versucht hat alles aufzuputzen, als die schon ganz eingetrocknet war. Jedenfalls hab ich mich da an so ein Zeug erinnert, mit dem ich schon andere Farbe super wegbekommen hab. Als ich in den Raum reinkam, brannte Licht und als ich ums Eck gegangen bin, haben mich Frau Buschle und Herr Fritsch ziemlich ertappt angeschaut. Wahrscheinlich war ihnen bewusst, dass ich mir meinen Teil denken könnte, aber ich habe nie mit den zwei oder sonst jemandem darüber geredet, weil es mich ja eigentlich nichts angeht. Als wir im Krankenhaus dann das Haar gefunden und von dieser geheimen Person erfahren haben, hat das schon Sinn gemacht.«
»Und damit rückst du erst jetzt raus?! Egal, wir reden mit ihr.«

*

»Guten Morgen, könnten wir Sie nochmal wegen unseres vergifteten-Lehrer-Problems sprechen?« Legt Herr Thomas ungehindert los. »Toll formuliert!«, raunt ihm Herr Gebhard zu.
»Äh, na klar«, meint Frau Buschle und folgt den beiden in eine ruhige Ecke zum Tisch am Ende des Gangs. »Wir reden gar nicht lange drumherum. Wir wissen, dass Sie und Herr Fritsch eine, sagen wir, besondere Beziehung zueinander hatten, beziehungsweise haben und dass Sie ihn, als er wieder bei Bewusstsein war, im Krankenhaus besucht haben. Er hat gestern nicht lange vor unserem Besuch ein starkes Schlafmittel verabreicht bekommen, vermutlich um nicht in der Lage zu sein, mit uns zu reden, möchten Sie uns diesbezüglich irgendetwas sagen?« Frau Buschle muss nach so einer Konfrontation erst einmal Luft holen, schließlich beginnt sie aber, zu erzählen: »Abstreiten hilft wahrscheinlich in diesem Fall nicht mehr. Ja, wir haben uns tatsächlich das ein oder andere Mal heimlich gesehen, aber es hat sich so richtig angefühlt. Nachdem zwei Putzfrauen und Sie«, sie blickt Herr Gebhard mit gesenktem Kopf an, «uns in diesem, sowieso komischen, Putzraum entdeckt haben, haben wir uns ab sofort in dem Dunkelraum, in den eh fast nie jemand reingeht verabredet. Am Tag, als Timo vergiftet wurde, hab ich mich noch mit Schülern unterhalten- die bestätigen Ihnen das bestimmt- war demnach spät dran und fand beim Runter laufen nur die Ermittler und die anderen Kollegen, die besorgt um den Raum standen und Fragen zu der Verwendung dieses Zimmers beantworteten. Ich erfuhr wie jeder andere auch, was passiert war. Ich habe ihn besucht, kurz nachdem er mich angerufen hatte, dass er wach sei und da haben wir das mit uns auch beendet, weil wir diese Situation als Bestrafung des Himmels für unser Verhalten interpretiert haben. Er hatte keine richtige Erinnerung an die letzten paar Stunden mehr, konnte mir also nicht sagen, wer ihm dieses Gift verabreicht haben könnte. Ich würde aber nie jemandem etwas antun, das müssen Sie mir glauben!« Sie war den Tränen nahe. »Ich habe letzte Nacht nicht schlafen können und mir geht es erst besser, seit ich weiß, dass er es überleben wird.« »Es wäre toll, wenn Sie Ihren Tag bevor und nachdem Timo vergiftet wurde, nun nochmal ausführlich erzählen könnten.«

8

Frau Buschles Tag war nicht auffallend anders als sonst verlaufen, neben einer Doppelstunde Deutschunterricht und einer kurzen alltäglichen Unterhaltung mit ihrem heimlichen Liebhaber, war nicht viel passiert. Dennoch hatten die Detektive eine neue Spur aus dem Gespräch herausziehen können. Herr Fritsch hatte ihr eine kleine Schnittverletzung an seinem rechten Ringfinger gezeigt, die er sich anscheinend zugezogen hatte, als er dem Hausmeister beim Tragen einer großen Holzplatte half. Da diese ausschlaggebend für das Anspringen des Giftes war, hielt Herr Thomas es für keine schlechte Idee, den Hausmeister noch etwas ausführlicher zu befragen. Glücklicherweise entdecken sie ihn, wie er gerade über den Hof in Richtung Schulgebäude schlendert, wo die Detektive ihn direkt abfangen.
»Ja, er ist grad an mir vorbeigelaufen und dann hab ich ihn gefragt, ob er mit mir schnell diese Platte in die Mensa trägt. Wissen Sie, die Handwerker, die grad den Aufzug richten, haben die benötigt. Beim Tragen ist die ihm dann einmal abgerutscht und da stand ganz ungünstig eine Schraube raus. Ich hab ihm noch ein Pflaster angeboten, aber er meinte nur, er habe es eilig und ist dann direkt wieder ins Schulhaus zurückgesprintet. Und danach hab ich in der Mensa ein wenig am Aufzug geholfen.« »War die Wunde denn tief?«, will Herr Thomas wissen. »Na ja, sah nicht grad appetitlich aus, weil es erstmal ordentlich geblutet hat, aber so wild wars, denk ich, auch nicht.«
»Wo gehen wir denn jetzt hin?« Fragt Herr Gebhard, der nur schwer zu seinem Kollegen aufschließen kann. »Wir rekapitulieren, was Herr Fritsch danach wahrscheinlich gemacht haben könnte und versuchen, daraus neue Schlüsse zu ziehen.« Die Detektive stehen in der Mensa. »Tu so, als würdest du mit mir dieses Brett tragen«, fordert Herr Thomas. »Ernsthaft?« »Komm, pack einfach mit an.« »Die Luft?« Oscarreif spielt Herr Thomas den sich an der Schraube schneidenden Herrn Fritsch und stürmt darauf, sich die eigene- unverletzte- Hand haltend, ins Schulhaus zurück. Sein Kollege verdreht innerlich die Augen, hetzt dann aber hinterher. Er sieht den Chefdetektiv gerade im Herrenklo verschwinden. Als er ihm dorthin folgt, findet er Herrn Thomas, der sich, das Gesicht schmerzverzogen, den unverletzten Finger mit ein paar Handtuchpapieren einwickelt. »Sicher, dass du das nur nachspielst? Dann frag ich mich nämlich echt, ob du nicht die falsche Karriere gewählt hast.«

9

»Also Kollege,« beginnt Herr Thomas, »Er ist höchstwahrscheinlich erst einmal hierhergekommen, um die Blutung zu stillen und sich die Hand abzuwaschen. Danach hat er sich vermutlich dann doch ein Pflaster besorgt.« Er hechtet bereits wieder auf die Tür zu. »Meinst du echt, dass er dabei auch die ganze Zeit so gerannt ist?« Fragt Herr Gebhard, der noch keine Zeit gehabt hat, einmal Luft zu schnappen.
»Wieso soll er denn ins Sekretariat gegangen sein, wenn das Krankenzimmer gleich hier ist?« »Weil er vermutlich mit einer Hand schlecht den Schlüssel aus dem Rucksack kramen konnte und es da drin auch Pflaster gibt.«
Frau Frick bestätigt tatsächlich die Theorie von Herrn Thomas und erzählt, dass Herr Fritsch noch meinte, dass er nun glücklicherweise eine Freistunde hätte und dann in Richtung Lehrerzimmer davon sei. »Wissen Sie ganz zufällig noch, um wie viel Uhr das ungefähr war?« Die Sekretärin überlegt kurz und tatsächlich hellt sich ihr Gesicht auf. »Ja, das weiß ich tatsächlich noch. Da hatte ich mich gerade wieder hingesetzt und hab im Computer die Uhrzeit gesehen. 11:11 Uhr. Das hab ich mir eingeprägt weil ich in letzter Zeit immer um genau diese Zeit auf die Uhr schaue und es doch so etwas wie ‚Engelszahlen‘ gibt. Ich muss wirklich mal nachlesen, ob das irgendwas bedeutet.«
Herr Thomas ist auf einmal ganz aufgeregt. »War die Wunde noch frisch, als sie hier verarztet wurde?« »Ja, ziemlich. Eigentlich noch keine fünf Minuten alt, so wie das noch geblutet hat.« »Vielen Dank, Sie haben uns wirklich sehr geholfen!«, meint Herr Thomas und stürmt erneut in einem unbarmherzigen Tempo aus der Tür des Sekretariats hinaus. Auf dem Gang lässt er sich unsanft auf den nächsten Stuhl fallen. Sein Kollege folgt ihm wenige Augenblicke später. »Oh, gut. Ich dachte, ich muss mich schon wieder für den nächsten Sprint bereit machen. Hey, alles in Ordnung, Markus?« Der Chefdetektiv sitzt schwer atmend und mit großen Augen da und Herr Gebhard bekommt Sorge, dass er ihm gleich hier und jetzt vom Hocker kippt. »Brauchst du einen Schluck Wasser, oder gehts gleich wieder? Was ist denn los?«
»Herr Fritsch wurde nicht vergiftet.«

10

»Was?!« »Herr Fritsch wurde nicht vergiftet. Cessante causa cessat effectus, fällt die Ursache fort, entfällt auch die Wirkung.« Herr Gebhard versteht nur Bahnhof: »Bitte, was?! Hat man dir jetzt auch noch was in den Tee gemischt?«
»In den letzten Nächten habe ich nicht viel schlafen geschlafen, dafür umso mehr verschiedenste Sachen recherchiert, von denen ich dachte, dass sie uns irgendwie, irgendwann hilfreich sein könnten. Wenn ich so drüber nachdenke, wundert es mich wirklich, dass mein Kreislauf noch nicht wegen Übermüdung kollabiert ist.« »Komm bitte zum Punkt!«, fordert Herr Gebhard.
»Jedenfalls habe ich mich auch recht lange mit Giften beschäftigt, was ziemlich umfangreich war, da wir nie genau wussten, mit was Genauem er denn überhaupt vergiftet wurde. Meinen Recherchen zufolge gibt es aber nicht so viele, leicht zu bekommende Kontaktgifte, vor allem nicht hier in Deutschland. Die wenigen, zu denen ich dann wirklich etwas finden konnte, zeigen alle einheitlich eine gewisse Auffälligkeit. Sie brauchen mindestens eine Dreiviertel- bis ganze Stunde, um überhaupt eine vernünftige Wirkung im Körper zu zeigen. Herr Fritsch wurde aber bereits um 11:30 Uhr bewusstlos gefunden, wie du selbst ja bestätigt hast. Genau genommen schließt es kein Gift aus, aber es muss etwas anderes dafür gesorgt haben, dass er ohnmächtig wurde.« »Vielleicht hat er was Schlechtes gegessen. Der eine Kuchen von den Siebtklässlern letzten Dienstag sah ein bisschen komisch aus.« Mutmaßt Herr Gebhard. »Ach Quatsch.«
 »Wieso haben wir eigentlich nie in Erfahrung bringen können, was Herrn Fritsch so von den Socken gehauen haben soll?« »Ich habe längst im Krankenhaus direkt nachgefragt, die haben mich jedes Mal auf seine Frau verwiesen, aber die wusste es tatsächlich auch nicht so genau. Scheinbar haben sie ihr auch immer nur gesagt, dass sein Zustand unklar wäre und dass Besuch für ihn momentan eher schlecht sei. Das mit dem Schlafmittel war übrigens auch nur eine Vermutung.« Herr Thomas rappelt sich auf und holt tief Luft. »Neuer Plan?«, fragt Herr Gebhard. »Neuer Plan.«
Die Detektive rasen mit Herrn Thomas’ Auto zum städtischen Krankenhaus. Auf dem Parkplatz möchten sie gerade aussteigen, da bekommt Herr Thomas einen Anruf vom Schulleiter. Herr Thomas nimmt ab: »Markus Thomas… Ja… Ja natürlich… Das kriegen wir hin… Dann bis später. Ja, Tschüss.« Er legt den Hörer auf und erklärt verblüfft: »Herr Nowack will, wenn wir wieder an der Schule sind, mit uns reden. Er hält es anscheinend für richtig, uns von einem, ihm bisher unwichtig erschienenem, Detail zu erzählen.«

11

»Guten Tag, ist ein gewisser Timo Fritsch noch bei Ihnen in Behandlung? Wir sind Kollegen von ihm und haben schon länger nichts mehr gehört, was uns etwas Sorge bereitet.« »Guten Tag.« Murmelt der im Computer vertiefte Herr Schilling am Empfang. Als er aufblickt, scheint ihm seine vorherige Beschäftigung auf einmal nicht mehr so wichtig zu sein. »Moment, wir kennen uns doch. Sie waren gestern schon da. Sie hatten übrigens tatsächlich recht mit der blonden Frau. Ich habe die diensthabende Schwester gefragt und sie war wirklich in diese Frau gerannt, als sie nach ihm sehen wollte und hatte sie für Herrn Fritschs Frau gehalten. Aber es wurde nichts gefunden, was seinen plötzlichen tiefen Schlaf verursacht haben könnte.« Herr Schilling tippt etwas in seinen Computer ein, klickt zweimal etwas mit der Maus an und erläutert dann: »In seiner Akte steht eine Vergiftung mit einer geringen Menge Parathion als Diagnose, wenn Ihnen das irgendwie weiterhilft. Außerdem soll er keinen Besuch erhalten, da er immer noch sehr geschwächt ist.« Herr Thomas bedankt sich knapp für die Auskunft und zieht dann Herr Gebhard mit ihm zurück in Richtung Auto.

12

»Wir müssen schnellstmöglich herausfinden, was der Chef uns so dringend sagen will.« »Ich dachte, wir wollten uns auch noch nach Frau Hermann erkundigen.« »Ihr Mann hat mir gestern am Telefon erzählt, dass sie sich den Unterarm gebrochen hat, aber nächste Woche wieder nach Hause darf. Aber dieser Herr Schilling lügt wie gedruckt. Der steckt da irgendwie mit drin. Der kam mir schon bei unserem ersten Gespräch ein wenig merkwürdig vor, aber da hab ich mir noch nicht viel dabei gedacht. Aber das gerade eben war der Beweis, dass da etwas nicht stimmt. Erstens wissen wir mittlerweile aus erster Hand, dass Herr Fritsch ziemlich sicher nicht vergiftet wurde und zweitens gibt es immer noch so etwas wie Schweigepflicht. Die Akten von Patienten an wildfremde zu präsentieren, zeugt ganz sicher nicht davon, mal ganz außer Acht gelassen, dass diese Evolutionsbremse normalerweise überhaupt keinen Zugriff auf solche Informationen hat. Der hat uns bewusst diesen Quatsch untergejubelt, wir müssen jetzt bloß noch in Erfahrung bringen, wieso.« Es ist vier Uhr mittags als sie zurück in der Schule sind und die Treppen nach oben in den ersten Stock zum Büro des Schulleiters gehen. »Was ist?«, fragt Herr Gebhard seinen Kollegen, der auf der dritten Stufe stehen geblieben ist und etwas verdutzt dreinblickt. »Ach nichts, ich glaub die schlaflosen Nächte zeigen sich langsam und lassen mich Gespenster sehen.« Frau Frick hat schon Feierabend und die Tür zum Sekretariat steht offen. Die Detektive klopfen an Herr Nowacks Büro und treten schließlich kurzerhand ein. Der Schulleiter sitzt in seinem Bürostuhl, mit dem Rücken zur Tür gewendet. »Hallo? Herr Nowack?« Keine Antwort. Plötzlich gibt Herr Gebhard einen erschreckten Laut von sich und deutet zittrig auf die schwach baumelnde Hand seines Chefs. Auch Herr Thomas wird sich der Situation bewusst und tritt langsam an den Stuhl heran. Er wird fahlblass. »Ruf die Polizei.« Murmelt er mit starrem Blick.

13

Etwas passte nicht. Irgendetwas hatten sie übersehen. Nicht erst heute morgen oder gestern. Schon vor einer Weile. Die Diagnose für Herrn Nowack war eindeutig gewesen: Eine Vergiftung mit einem mittlerweile verbotenem Planzenschutzmittel. Parathion. Es wurde in seinem Kaffee gefunden und die Spurensicherung ist sich sicher, dass es sich um einen Mordanschlag handelt. »Als Schulleiter hat man ein großes Spektrum an Personen, die einen nicht mögen, weil man leider nicht alle Interessen vertreten und berücksichtigen kann.« Hatte der verantwortliche Einsatzleiter den Detektiven erläutert. Ob die Dosierung tödlich war, werde sich zeigen. Herr Gebhard und Herr Thomas sitzen im Auto und sind erneut auf dem Weg ins Krankenhaus. Sie würden versuchen, gar nicht erst an den Empfang, sondern gleich in Richtung der Behandlungszimmer zu gehen. »Besondere Umstände benötigen besondere Maßnahmen.« Hatte Herr Thomas, wegen seines eher unwohl gestimmten Kollegen, plädiert. »Wir brechen ja nicht mutwillig irgendwo ein. Wir sprechen einfach mit den Pflegerinnen und Pflegern in den verschiedenen Stockwerken und bitten die oder den jeweiligen dann, uns in das Zimmer von Herrn Fritsch zu begleiten, sollte er überhaupt noch hier sein.«

Am Empfang vorbeizukommen, ist an diesem Abend überraschend einfach. Der Herr, der in dieser Stunde Dienst hat, sieht nicht einmal von seiner Arbeit auf, als die Detektive das Foyer betreten und so eilen diese die Treppen zum ersten Stock hoch. Eine Schwester gibt ihnen die Auskunft, dass sie auf dieser Station derzeit niemanden mit genanntem Namen versorgen. Auch im zweiten und dritten Stock wird ihre Frage eindeutig verneint, weshalb sie sich auf den Rückweg durchs Treppenhaus machen und beinahe in eine blonde Frau hineinrennen.

14

»Oh, hallo. Das ist ja ein lustiger Zufall, dass wir uns hier treffen«, strahlt ihnen Frau Frick entgegen. Sie trägt einen Blumenstrauß in der einen und eine Karte in der anderen Hand. »Ich besuche meine kleine Nichte, die arme hat nämlich ihre Weisheitszähne rausbekommen und da dachte ich, bringe ich ihr ihre Lieblingsblumen vorbei. Besuchen Sie Herrn Fritsch? Und geht es ihm mittlerweile besser? Schon oder? Echt schlimm, was mit ihm passiert ist.« Die Detektive sind unwillkürlich sprachlos, über die Ausgelassenheit ihres Gegenübers, bis ihnen auffällt, dass die Sekretärin, wie die meisten anderen Lehrer, die um diese Uhrzeit nicht mehr in der Schule waren, noch gar nicht über letztere Geschehnisse informiert wurde. »Hab ich irgendwas im Gesicht, oder warum gucken Sie beide mich so an?«, fragt sie verwirrt. »Nein nein. Es ist nur-« Herr Thomas muss tief Luft holen. »Es ist nur wieder etwas in der Schule passiert. Herr Nowack wurde etwas in den Kaffee gemischt.« Frau Frick muss sich kurzerhand auf eine der Stufen setzen. »Ich- ich hätte nicht früher Feierabend machen dürfen«, stammelt sie. »Nein, hören Sie auf, es ist ganz gewiss nicht Ihre Schuld.« Versucht Herr Gebhard sie zu beruhigen. »Kommen Sie, gleich ums Eck ist ein kleiner Aufenthaltsraum, wo Sie sich vernünftig hinsetzen können.
»Wo ist Herr Nowack denn in Behandlung? Auch hier im Krankenhaus?« »Nein, er wurde nach Sigmaringen gebracht, weil die dort derzeit anscheinend „mehr Kapazitäten“ haben sollen«, lügt Herr Thomas kurzerhand, um etwas Distanz für Frau Frick zu schaffen. »Also sind Sie hier um Herrn Fritsch zu besuchen?« »Ähh ja. Beziehungsweise wollten wir das, aber er ist auf keiner Station hier untergebracht, weshalb wir davon ausgehen, dass er nach Hause entlassen worden ist.« »Oh, das ist ja schade, ich hätte ihm eigentlich auch noch gerne hallo und gute Besserung sagen wollen, aber dann muss geht es ihm ja wahrscheinlich wieder deutlich besser. Jedenfalls denke ich, ich gehe jetzt mal doch zu meiner Nichte, bevor es nachher noch zu spät wird.« Frau Frick drückt sich aus ihrem Stuhl hoch und fügt hinzu: »Ich schätze, wir müssen die Schule erneut schließen, bis wir überhaupt wissen, wie es Herrn Nowack geht. Sobald ich zuhause bin, schicke ich eine Rundmail ans Kollegium, wenn Herr Prinz das nicht schon längst getan hat. Also dann, schönen Abend noch.«
»Wir gehen«, bestimmt Herr Thomas und Herr Gebhard murmelt bloß: »Du sagst das so, als hätten wir das vorhin nicht ohnehin schon vorgehabt. Und was ist jetzt der Plan?« »Nicht hier, wir reden, wenn wir draußen sind.«

15

Zurück im Auto kramt Herr Thomas einen Kugelschreiber und einen leeren Briefumschlag aus dem Handschuhfach und beginnt, sich eifrig Notizen darauf zu machen. »Weißt du, Sherlock Holmes erzählt Watson immer weitestgehend von seinen Gedanken, aber ich komme mir langsam vor, wie ein nerviges Anhängsel.« »Tut mir leid, ich muss nur meine Gedanken sortieren, bevor ich sie präsentieren kann.«
Herr Thomas kritzelt noch einige Sekunden auf dem Umschlag herum, bevor er ihn einsteckt und endlich mit der Sprache rausrückt. »So, aus irgendeinem Grund sind Leute heute nicht ehrlich zu uns. Erst der Typ am Empfang, jetzt Frau Frick.«
 »Was hat sie denn gesagt, was nicht der Wahrheit entsprochen hat?« »Ach Björn, errare humanum est«, schmunzelt Herr Thomas. »Irren ist zwar menschlich, aber wenn du in Krimis wirklich schon lange vorher weißt, wer der Täter ist, dann will ich gar nicht wissen, was das für Krimis sein sollen.« Herr Gebhard nimmt einen tiefen beruhigenden Atemzug: »Sag mir einfach, was mir hätte auffallen müssen, damit wir hier irgendwie weiterkommen.«
»Das mit ihrer Nichte war so was von erfunden. Wir wissen natürlich nicht, ob sie nicht wirklich eine hat und ob diese diese auch wirklich keine Weisheitszähne mehr besitzt, aber Fakt ist, dass sie jemand ganz anderen besuchen wollte und das nur ein Vorwand war.« Herr Gebhard ist gänzlich verwirrt. »Wie kommst du da schon wieder drauf? Weil diese furchtbaren Blumen niemals die Lieblingsblumen von jemandem sein könnten, oder warum?« »Ganz einfach. Weisheitszahn-OPs werden in beispielsweise einer Kiefer- oder Gesichtschirurgie gemacht, aber nicht in einem städtischen Krankenhaus. Außerdem darf man nach so einem Eingriff gleich wieder nach Hause gehen, wenn es keine Komplikationen gab. Und selbst in so einem Fall gibt es spezielle Kliniken. Und ein weiteres Detail lag in der Karte, die sie dabei hatte. Ich konnte zeitweise das erste Wort daraus erkennen und sollte mich mein Augenarzt nicht mein ganzes Leben lang betrogen haben, stand da eindeutig „Lieber“ als Anrede.« »Mensch Markus, ich bekomme wirklich langsam das Gefühl, du hast da bei deiner Berufswahl echt was verschlafen.«

Herr Thomas möchte gerade den Motor anlassen, da schreit ihm Herr Gebhard ein lautes „Stop“ ins Ohr. »Mach sofort den Motor aus! Da hat jemand was an der Motorhaube gemacht!«

16

Die Detektive steigen aus und öffnen die Motorhaube, die am vorderen Kotflügel ganz verbogen und verkratzt ist. Jemand hatte sich eindeutig von außen daran zu schaffen gemacht. »Im Bremsflüssigkeitsbehälter ist viel zu wenig«, bemerkt Herr Gebhard. »Ich sags nur ungern, aber irgendwem gefallen unsere Ermittlungen bei diesem Fall nicht.« »Momento mori, bedenke, dass du sterben wirst.« Herr Gebhard seufzt: »Sehr motivierend.«
Da eine Fahrt mit Herrn Thomas’ Wagen lebensgefährlich wäre, laufen sie zu Fuß zu Herr Gebhard nach Hause, um stattdessen sein Auto zu nehmen. Dort angekommen, bleibt beiden der Mund offen stehen. »Das gibt es nicht!
Die sind platt! Beide Hinterreifen! Ich hab erst letzte Woche die neuen Winterreifen drauf gemacht!« Wortlos zieht Herr Thomas einen langen Eisennagel aus dem rechten hinteren Reifen, wobei dieser ein verächtliches Zischen von sich gibt und kurzerhand vollends in sich zusammensackt. »Na toll, und jetzt?!«, stößt Herr Gebhard aus, wobei sich seine Stimme überschlägt. »Oberstes Gebot: Ruhe bewahren. Ich denke, ich weiß ohnehin, wo wir jetzt wirklich hinmüssen. Anstatt zu Herrn Fritsch nach Hause, gehen wir zu Fuß zurück zur Schule.« Es ist mittlerweile dunkel und die Detektive laufen gerade den Weg zwischen Stadthalle und Gymnasium hoch, als Herr Thomas abrupt stehen bleibt. In der nächsten Sekunde zerrt er seinen Kollegen in ein Gebüsch neben ihnen und befiehlt ihm, keinen Mucks von sich zu geben. »Da ist jemand ins Schulhaus gegangen. Komm mit.«, sagt Herr Thomas nach einer geschlagenen Minute und beginnt, sich quer durch das Gestrüpp zu kämpfen und Herrn Gebhard alle paar Meter Ästchen ins Gesicht zurück zu peitschen. »Ist dieser Weg wirklich notwendig?«, fragt dieser gequält. »Ok, die Luft ist rein«, meint der Chefdetektiv und stolpert auf die Straße zurück, gleich nach ihm sein Kollege. »Na ein Glück.«
Die Detektive schleichen über den Schulhof und treten anschließend durch den unverschlossenen Haupteingang ins Schulgebäude. Sie bemerken ein Licht in Richtung der Toiletten und gehen mit leisen Schritten und im Schutz der Dunkelheit darauf zu. Das Licht kommt aus dem Büro des Hausmeisters. »Ich werde mal versuchen, unauffällig rein zu schauen«, flüstert Herr Thomas und tippelt in Richtung der Tür. Gleichzeitig kommt Herr Marquart aus dem Raum hinaus und läuft geradewegs in den sich Anschleichenden. »Haben Sie mich erschreckt. Was machen Sie beide denn um diese Uhrzeit noch hier?« »Das Gleiche könnten wir Sie fragen«, meint Herr Thomas misstrauisch. »Ich hab vorhin meine Schlüssel hier vergessen«, erklärt der Hausmeister und hebt den klirrenden Schlüsselbund in die Höhe. »Ohje, verzeihen Sie bitte meine Art. Meine Nerven liegen seit Tagen blank und geschlafen habe ich in letzter Zeit auch nicht viel.« »Ach, kein Problem. Wir müssen jetzt allerdings in den nächsten zehn Minuten die Tür abschließen, sonst geht gleich der Alarm runter. Was müssen Sie denn hier jetzt noch machen?« »Oh, gut dass Sie es sagen. Ich bin in zwei Minuten wieder da.« Mit diesen Worten sprintet Herr Thomas durch die Aula und die Stufen in den ersten Stock hoch. Anschließend verlassen die drei gemeinsam das Schulhaus. »Sind Sie nicht mit dem Auto da?«, fragt der Hausmeister, mit einem Blick auf die autofreie Straße. »Ähh, ne. Meins ist in der Werkstatt und Herr Gebhard läuft ja immer zur Schule«, erfindet Herr Thomas kurzerhand. »Aber wir wollten jetzt sowieso noch etwas essen gehen.«
»Und was machen wir jetzt wirklich?«, möchte Herr Gebhard wissen, nachdem der Hausmeister weggefahren ist. »Wir nehmen uns ein Taxi und fahren nach Sigmaringen. Du kommst mit, ist das klar? Spätestens heute Nacht finden wir nämlich heraus, wer hinter allem steckt.«

17

Die Fahrt nach Sigmaringen dauert eine knappe halbe Stunde, in der sich Herr Thomas, auf dem Beifahrersitz, mit dem aus Indien stammenden Taxifahrer Nadi, dessen Name auf Deutsch soviel wie „Bambusflöte“ bedeutet, angeregt über Meditationstechniken und Heilsteine unterhält. Schließlich halten sie auf dem Parkplatz des Krankenhauses an. »Für dich mach’ ich Freundschaftspreis, Markus«, verkündet der Taxifahrer und nennt ihnen anschließend die Summe. »Äh, dummerweise habe ich mein Portemonnaie im Auto gelassen… Björn, wenn du so gut wärst.« Herr Thomas steigt schwungvoll aus dem Wagen, jedoch nicht ohne vorher mit Nadi abzuklatschen. Herr Gebhard verdreht nur genervt die Augen und bezahlt den Mann in bar. Die Detektive laufen quer am Eingang des Krankenhauses vorbei und lassen sich anschließend im Schutz der Dunkelheit an einen Baum gelehnt nieder. »Jetzt warten wir«, verkündet Herr Thomas. Sein Kollege seufzt: »Ich mach’ mir gar nicht erst die Mühe, dich zu fragen, auf was.«

18

22:12 Uhr

Herr Thomas tat seit einer Stunde nicht anderes, als wie gebannt auf die Eingangstür zu starren. Sein Kollege hatte zwischenzeitlich sämtliche Belege aus seinem Geldbeutel erst nach Datum, dann nach bezahltem Betrag und anschließend nach Zettellänge sortiert. »Psst!«, macht Herr Thomas auf einmal. »Ich hab doch überhaupt nichts gesagt.« »Da vorn. Da läuft jemand, den wir sehr gut kennen, ins Krankenhaus.« Sie folgen der Person mehr oder weniger unauffällig ins Gebäude und sehen, wie sich gerade die Aufzugtür schließt. »Schnell! Die Treppen!« befiehlt Herr Thomas und stürmt direkt los. Im dritten Stock hält der Aufzug an. Der Chefdetektiv wartet bereits verdeckt am Ausgang des Treppenhauses, als einige Sekunden später auch Herr Gebhard neben ihm erscheint. »Wo nimmst du nur diese ganze Energie her«, keucht er. Die Fahrstuhltüren öffnen sich und Herr Thomas tritt aus seiner Deckung: »Guten Abend.« Herr Fritsch fährt erschrocken herum. »Ich schwöre, dass ich nichts mit diesen ganzen Umständen zu tun habe!«, stammelt er. »Das wissen wir«, entgegnet Herr Thomas trocken. Herr Gebhard, der dies, aufgrund der Kommunikationsschwierigkeiten im Detektivteam, nicht wusste, nickt seinem verschreckten Gegenüber nur beruhigend zu. »Ich hatte ihre E-Mail gelesen und wollte mich nach Herrn Nowack erkunden. Und-« »Wir haben zwar nicht damit gerechnet, Sie hier zu treffen, aber es ändert unsere Ausgangssituation nur zum Besseren. Ich hoffe, Sie haben heute Abend nicht mehr viel vor.« Gemeinsam suchen sie einen Platz, von dem aus sie das Treppenhaus, sowie den Fahrstuhl gut im Blick haben und warten erneut. Herr Fritsch beschließt, keine weiteren Fragen zu stellen. »Wieso haben wir uns eigentlich nicht direkt hierher gesetzt?«, möchte Herr Gebhard nach einigen Minuten wissen. »Das kann ich dir leider auch nicht sagen«, muss der Detektivchef zugeben. »Die frische Luft draußen hat aber sicher nicht geschadet.«

19

22:47 Uhr

Der Fahrstuhl öffnet sich. Die Observierenden gehen in Deckung. Eine blonde Frau steigt aus und eilt, nervös hinter sich blickend, auf den Gang. Herr Thomas springt aus seinem Versteck. »Guten Abend, Frau Buschle.« »Isabel? Was machst du denn hier?«, entfährt es Herrn Fritsch, der ebenfalls aus der Deckung herausgekommen war. »Ich hatte Angst, dass hier jemand auf dich wartet und dir wieder etwas antut.« Herr Thomas bemerkt, dass der Fahrstuhl nach unten gerufen wurde und befiehlt allen, wieder in das Versteck zu gehen. Anstatt im dritten Stock zu halten, fährt der Aufzug weiter in den fünften. »Alles klar. Es geht los«, verkündet Herr Thomas verschwörerisch. »Sie bleiben alle hier. Sobald jemand, der nicht zum ärztlichen Personal gehört, in diesen Raum kommt,« Er deutet auf eine Tür schräg gegenüber ihres Verstecks »und ich ihnen ein Zeichen gebe, dessen Form mir in diesem Moment leider selbst noch nicht bekannt ist, folgen Sie uns hinein und lassen niemanden entkommen!« Daraufhin verschwindet er in eben gezeigtem Zimmer und schließt die Tür hinter sich.

20

22:51 Uhr

Der Fahrstuhl klingelt und niemand der im Versteck zurückgebliebenen wagt es, einen Blick auf den Gang zu werfen. Sie sehen zwei Gestalten, deren Gesichter durch Kapuzen verhüllt sind, auf die Tür zusteuern. »Sicher, dass du das machen willst? Meinst du nicht, es reicht?«, fragt die größere der beiden Personen. Die kleinere, welche in diesem Fall offenbar das Sagen hat, nickt nur und drückt, mit einer behandschuhten Hand, langsam die Klinke herunter. Als die Tür hinter ihnen zufällt, stürmen die anderen aus dem Versteck los und eilen auf den Raum zu. »Das klang überhaupt nicht gut. Hat Herr Thomas nicht außerdem nur mit einer Person gerechnet?«, bemerkt Herr Fritsch zum Unbehagen aller. Herr Gebhard, der in den letzten Tagen reichlich viel Ausdauer dazugewonnen hatte, erreicht als Erster den Türgriff und drückt diesen langsam hinunter. Die Tür ist verschlossen. Auch die anderen verstehen die Situation und werden noch unruhiger. »Was machen wir jetzt? Am Schluss murksen die Markus noch ab, wenn wir ihm nicht helfen können!« Herr Gebhard rennt plötzlich, wie vom Blitz getroffen, los. »Ich bin gleich wieder da. Sie bleiben hier.«

21

22:56 Uhr

Herr Thomas sitzt im Dunkeln. Durch die Schranktür gedämpft, hört er zwei Frauen miteinander diskutieren. »Das kannst du nicht machen! Wenn die uns jetzt erwischen, dann sitzen wir doch lebenslänglich!«, klagt die eine. »Was dachtest du denn, was wir hier machen? Uns entschuldigen und ihm gute Besserung wüschen? Außerdem, wieso sollten die uns erwischen? Solange diese zwei Schnarchzapfen Sherlock Holmes spielen, sicher nicht.« Herr Thomas Vermutungen hatten sich als wahr erwiesen. Jedenfalls größtenteils. Die nötigen Beweise sammelt er in genau diesem Moment, aber ein entscheidender Aspekt des Plans lief nicht wie erwartet. Die zwei Schreckschrauben hatten die Tür hinter sich abgeschlossen und Herr Thomas konnte nur beten, dass die anderen dies bemerkt und schon einen Plan parat haben. »Das kannst du nicht machen«, wiederholte die eine. Von der anderen kommt daraufhin nichts mehr, stattdessen wird es ruhig und Herr Thomas hört Schritte tiefer ins Zimmer verschwinden. »Du willst doch deinen Job und dein Leben behalten. Wenn der uns verpfeift  -was er sicherlich tun würde-, verlierst du alles, verstehst du nicht?«, entgegnet die Frau, die das Sagen zu haben scheint, dann doch.  »Und was ist mit dir?« »Überleg doch mal, keine der Indizien zeigen in irgendeiner Form auf mich. Selbst wenn du mich verrätst, gibt es in erster Linie nichts, was man mir anhängen kann.« Die Frauen müssten mittlerweile im Bereich des Patientenbettes stehen, wo „Herr Nowack“ schläft. Plötzlich schreit die eine laut auf und beginnt zu schluchzen, wobei ihr sofort befohlen wird, still zu sein. Die andere wirkt angestrengt, bis sie ein paar Sekunden später inne zu halten scheint. »Was…« »Wo ist das Blut?«, fragt die Schniefende.

Jetzt wäre sein Einsatz, weiß Herr Thomas, aber es ist schwer einzuschätzen, wie die zwei offenbar Bewaffneten auf ihn reagieren werden.

22

Herr Gebhard rennt in der Zwischenzeit die Treppen mit einem Generalschlüssel in der Hand nach oben. Er hofft innig, nicht zu spät zu kommen, falls sein Kollege die Umstände nicht bemerkt hatte. Er legt auf dem letzten Stück erneut einen Vollsprint hin und wirft Frau Buschle aus zehn Metern Entfernung bereits den Schlüssel zu. Diese öffnet die Türe und alle drei stolpern lärmintensiv in den Raum. Herr Thomas schlägt sich in seinem Versteck die Hand vor den Kopf, bevor er ebenfalls aus dem Schrank hüpft.
Die zwei Frauen wechseln ihre entsetzten Blicke hektisch von den drei Neuankömmlingen zu Herrn Thomas, der sich tiefenentspannt sein Jacket zurecht zupft. »Guten Abend, Ladies. Sie wollen wohl unseren guten Herrn Nowack besuchen.« Sein Blick fällt auf das durchlöcherte Bettzeug, unter dem er, vor Ankunft der zwei Gestalten, Handtücher zu menschlichen Proportionen zusammengerauft hatte und dessen Federn sich bereits im halben Raum verteilt haben und das eingeklappte Taschenmesser in der Hand seines Gegenübers. »Es gibt aber durchaus sanftere Methoden, jemanden zu wecken.« Die Machthabende des Duos schafft es, ihre entgleisten Gesichtszüge wieder unter Kontrolle zu bringen. »Markus, schön Sie mal wieder zu sehen. Ich muss sagen, wir haben Sie und Ihren Assistenten«, sie blickt in Richtung Tür, wo Herr Gebhard mit den anderen steht, «wirklich ein wenig unterschätzt.«
»Tja, das haben Sie wohl, Anette.«

23

 »Wenn es Sie nicht weiter stört, würden wir jetzt aber wieder gehen, ist wirklich schon spät. Sie haben uns sowieso nichts Beweisgestütztes vorzuwerfen.« Der Chefdetektiv tut, als müsse er nachdenken. »Hm, eigentlich haben wir genau das.« Er bedeutet seinem Team mit einem ernsten Blick, niemanden aus diesem Raum zu lassen und holt dann tief Luft. »Am Anfang war ich mir wirklich nicht so sicher, ob diese Taten nicht doch zu gut durchdacht und geplant sind, als dass wir sie irgendwie durchschauen könnten. Jeder hätte ein Alibi haben können, da wir nicht genau wussten, wann und mit was Herr Fritsch  vergiftet worden war, bis wir herausgefunden haben, dass diese Story nicht stimmen konnte. Im Nachhinein hat die Sache Ihnen aber gut in die Karten gespielt. Herr Fritsch war mit seinem blutigen Finger ins Sekretariat gestürmt und hatte etwas gesehen, was nicht für fremde Augen bestimmt war. Ich würde schätzen, Sie«, er sieht Frau Frick an, die gänzlich fertig mit der Welt zu sein scheint «waren gerade dabei, etwas in das Kaffeepulver von Herrn Nowack zu mischen, was Herr Fritsch vermutlich auch erkannt hat. Sie haben ihn dann kurzerhand außer Gefecht gesetzt, keine Ahnung, wie Sie das gemacht haben, aber er hat dadurch einen gewaltigen Gedächtnisschwund erlitten, er konnte mir nicht einmal mehr sagen, was er gefrühstückt hatte. Genau wie Sie das wollten. Herr Fritsch wurde höchstwahrscheinlich von Herrn Schilling abgeholt, der ja ebenfalls zu Ihrem kleinen Team gehört, und der geholfen hat, den wahren Zustand zu verschleiern und die Idee mit der Vergiftung gestützt hat. Herr Nowack hatte zwar einen Ermittler bestellt, aber dem hat unsere liebe Sekretärin einfach abgesagt und dadurch, dass wir die ganzen Untersuchungen durchgeführt haben, ist auch ziemlich in den Hintergrund gerückt, dass eigentlich jemand professionelles erwartet wurde. Sehen Sie mal, wie gut wir Sherlock Holmes gespielt haben«, meint er stolz grinsend zu Frau Ebinger. »Zunächst dachten wir, Herr Fritsch hätte alles inszeniert, um für spätere Taten ein wasserdichtes Alibi haben zu können, aber das hat irgendwann keinen Sinn mehr gemacht. Spätestens die Geschichte mit dem Schlafmittel vor unserem Besuch, wäre zwar denkbar gewesen, aber niemand möchte normalerweise unnötig Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wenn das eigentliche Ziel gerade das Gegenteil ist. Der springende Punkt war dann, dass Herr Fritsch niemals eine Gemeinschaftskunde-Klassenarbeit ausfallen lassen würde. Frau Buschle war außerdem nicht die einzige blonde Frau, die ihn dann im Krankenhaus besucht hat. Sie hatten vermutet, dass wir direkt mit ihm sprechen wollen, als er wach war und haben ihm dann die Schlafmedikamente verabreicht, sehr denkbar, mit der Hilfe von diesem Schilling.« Herr Thomas deutet auf das Messer in der Hand von Frau Ebinger. »Möchten Sie das nicht lieber mal weglegen, bevor Sie noch jemandem etwas antun, was dann nur wieder gegen Sie verwendet werden kann?« Sie blitzt ihn nur weiterhin böse an. »Ihre Entscheidung«, meint er trocken. »Also, wo war ich… Jedenfalls war ihr Ziel dann, uns auf Frau Buschle zu lenken, als Sie sie im Krankenhaus beobachtet haben. Sie wussten jedoch nicht, dass die beiden zu diesem Zeitpunkt eine Liebesbeziehung miteinander pflegten, was Frau Buschle für uns zwar nicht als Täterin ausschloss, aber bedeutend weniger wahrscheinlich machte. Als Herr Nowack, Ihr eigentliches Ziel dran war, haben Sie, Frau Frick, natürlich extra früher Feierabend gemacht, um ein Alibi zu haben und uns später im Krankenhaus diese Show, von wegen, es wäre Ihre Schuld gewesen, vorzuspielen. Offenbar hatten Sie nicht mit uns gerechnet, denn es war ja auch ein Geheimnis, wen sie tatsächlich besuchen wollten. Frau Ebinger hatte dann eigentlich noch etwas ganz anderes vor, aber da kamen wir früher als gedacht aus dem Krankenhaus wieder. Dass war nämlich dieses „Gespenst“, was ich gesehen und auf meinen Schlafmangel geschoben hatte. Herr Nowack hatte etwas über Ihre geheime Kooperation herausgefunden, worüber er sich zunächst nichts weiter gedacht hat, aber dann wohl etwas Auffälliges mitbekommen hatte, was er uns leider nach seinem besonderen Kaffee nicht mehr mitteilen konnte.« »Er hat eine vielsagende Nachricht auf Frau Fricks Computer gelesen«, bestätigt Frau Ebinger finster. »Als Frau Frick dann „ihre Nichte nach der Zahnbehandlung“ besuchen wollte und uns der nette Herr Schilling am Empfang, ohne zweimal nachzudenken, die komplette vermeintliche Akte von Herrn Fritsch präsentieren wollte, wurde mir einiges bewusst. In der Zwischenzeit hat Frau Ebinger unsere Autos fahruntauglich gemacht. Mit dem Unfall von Frau Hermann hatten Sie allerdings nichts zu tun. Das war wirklich ein Unfall, aber es hat Ihnen natürlich nur gut zugespielt, da Frau Frick zu dem Zeitpunkt mit im Lehrerzimmer stand und ein sauberes Alibi gehabt hätte. Alea iacta est, die Würfel sind endgültig gefallen.« Frau Frick hatte aufgehört zu schluchzen und blickte nur noch starr in die Ecke. »Wir sind erledigt, Anette«, murmelt sie. Mit einem Mal stürzt sich Frau Ebinger auf Herrn Thomas, der ihr nur haarscharf ausweichen kann. Nur einen Augenblick später stürmen drei Polizisten ins Zimmer und bringen die zwei Frauen in ihr Gewahrsam. Zu zweit müssen Sie der Drahtzieherin die Handschellen anlegen, während Frau Frick dem dritten Polizisten ohne Weiteres ihre Handgelenke hinhält.

24

23:49 Uhr

Frau Frick und Frau Ebinger wurden sofort verhaftet und ein Prozess gegen beide wird alsbald eingeleitet. Herr Thomas und sein Team, welches innerhalb der letzten Stunden spontan um zwei Gesichter gewachsen war, hatten kaum später, einen Anruf von Herrn Nowack selbst bekommen, dass es eine viel zu niedrige Dosierung gewesen war, als dass er einen kritischen Zustand hätte erreichen können. Sie saßen erleichtert in einer Bar und mussten die Geschehnisse erst noch verarbeiten. »Frau Frick hat mir übrigens eins übergebraten. So langsam kommen nämlich immer mehr zusammenhängende Erinnerungen wieder«, berichtet Herr Fritsch. »Markus, trotzdem wissen wir noch nicht, woher du wusstest, dass die beiden dort aufkreuzen würden.« Herr Gebhard nimmt plötzlich das Wort an sich: »Ich glaube, ich weiß ungefähr, wie er das hingekriegt hat. Nachdem die unsere Autos massakriert haben, waren wir nochmal in der Schule. In letzter Zeit war mein Kollege sehr ungesprächig was unsere Planungen anging, müsst ihr wissen«, meint er schmunzelnd. »Dann ist er irgendwann abgehauen und ich habe mich mit dem Hausmeister unterhalten. In der Zeit hast du dich vom Sekretariat aus, in dein E-Mailkonto geloggt und eine Mail, für die Glaubwürdigkeit und vermutlich aus Zeitgründen, an alle geschickt, die letztlich auch Euch beide hergebracht hat.«

»Genau so wars, Kollege. Melius est prevenire quam preveniri, es ist besser, dass du zuvorkommst, als dass man dir zuvorkommt. Zusätzlich hatte ich schnell eine gefälschte Liste mit ausgedachten Namen getippt und ausgedruckt, die ich beim rein laufen an einer Stelle am Empfang hinterlassen habe, von der ich mir sicher war, dass Frau Ebinger sie entdecken würde und in der Herr Nowack mit diesem bestimmten Zimmer hinterlegt war, jedoch im fünften Stock, wo es wiederum keinen Raum mit dieser Nummer gibt. Dadurch haben sie einen Schreibfehler vermutet und in den anderen Etagen gesucht, was uns einen zeitlichen Vorsprung verschafft hat. Es gibt immer noch einige Details, die ich mir auch noch nicht erklären kann. Das Motiv beruht jedoch meiner Vermutung nach darauf, dass Frau Frick sich nicht ganz wohl mit den neuen Regeln gefühlt hat. Letztens habe ich mitbekommen, wie sie sich bei Herrn Prinz beschwert hat, weil sie nicht mehr wie gewohnt, mit Hausschuhen im Sekretariat rumlaufen dar. Wahrscheinlich stand sie schon lange wegen ihrem Unmut mit Frau Ebinger in Kontakt, die Frau Frick dann schließlich zu all den Gräueltaten geleitet hat. Ich glaube, die beiden hatten nie vor, jemanden umzubringen, bis Herr Nowack diese kritischen Nachrichten gelesen hat und ihre Deckung aufgeflogen war. Frau Ebinger hat die ganze Aktion wohl als spannenden Ausgleich ihrer langweiligen Pension gesehen und hatte von außen natürlich keine Berührung zu fürchten. Homenum revelio, schlussendlich haben wir die Täter dennoch entlarven können. Der Schulleiter ist übrigens gar nicht in Sigmaringen im Krankenhaus, sondern in Pfullendorf, aber das war einfach der erste Ort der mir eingefallen ist. Ehrlich gesagt habe ich zudem mit mehr Kollegen gerechnet, aber mit Ihnen zwei hat unser Plan auch wunderbar funktioniert.«

»Übrigens müssen Sie Herrn Gebhard glaube ich so etwas wie einen Dienstorden verleihen. Oder zumindest ein Sportabzeichen. So schnell habe ich selten jemanden rennen sehen und dabei so klar denkend um noch die Polizei zu informieren«, meint Frau Buschle. Herr Thomas muss schmunzeln. »Ja, das muss ich wohl. Wir sind echt kein schlechtes Team, uns fehlt theoretisch nur noch eine offizielle Detektei. Zu blöd, dass wir Lehrer geworden sind.«